Das Bundeskriminalamt hat im Oktober 2019 das Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität (Wikri) für das Jahr 2018 veröffentlicht.
Es existiert keine Legaldefinition zur Beschreibung der Wikri. Kriminologisch lässt sich Wikri definieren als die das Vertrauen missbrauchende Begehung von Straftaten im Rahmen einer tatsächlichen oder vorgetäuschten wirtschaftlichen Betätigung, die unter Ausnutzung der Abläufe des Wirtschaftslebens zu einer Vermögensgefährdung oder einem Vermögensverlust großen Ausmaßes führt, oder eine Vielzahl von Personen bzw. die Allgemeinheit schädigt. Die Polizei rechnet dazu alle Straftaten, für die – nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes – die Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist. Berücksichtigt werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), auf der das Bundestagebild Wikri basiert, nur die von der Polizei – also nicht von Finanzbehörden, vom Zoll oder unmittelbar von einer Staatsanwaltschaft – ermittelten Verdachtsfälle.
Im Jahr 2018 wurden in der PKS insgesamt 50.550 Fälle der Wikri registriert, 31,7 % weniger als 2017. DIe Gesamtzahl liegt unter dem Durchschnitt der vergangenen 5 Jahre (ca. 61.000 Fälle). Der Anteil der Wikri an allen bekannt gewordenen Straftaten betrug 0,9 % (2017: 1,3 %), während die durch sie verursachten Schäden einen Anteil von 46,0 % an dem in der PKS ausgewiesenen Gesamtschaden in Höhe von 7.300 Millionen Euro hatten.
Die Aufklärungsquote (AQ) betrug 2018 90,9 % (2017: 94,6 %) und lag damit deutlich über der AQ der Gesamtkriminalität (57,7 %). Ursächlich für die hohe Quote ist, dass es sich überwiegend um „Anzeigedelikte“ handelt, bei denen die Täter den Geschädigten zumeist bekannt sind.
Entwicklung einzelner Deliktsbereiche der Wirtschaftskriminalität 2018/2017
Deliktsbereich | Fallzahlen | Schaden in Millionen Euro |
---|---|---|
Wikri insgesamt | 50.550 / 74.070 | 3.356 / 3.738 |
Wikri bei Betrug | 23.599 / 48.103 | 653 / 2.065 |
Insolvenzdelikte | 10.454 / 10.640 | 2.221 / 1.157 |
Anlage- und Finanzierungsdelikte | 5.978 / 28.255 | 340 / 1.558 |
Wettbewerbsdelikte | 2.174 / 1.614 | 9 / 8 |
Arbeitsdelikte | 7.967 / 7.467 | 47 / 45 |
Betrug/Untreue i.Z.m. Kapitalanlagen | 5.448 / 27.564 | 286 / 1.617 |
Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen | 3.039 / 5.588 | 42 / 1.207 |
Deutlich rückläufige Fallzahlen wurden 2018 in den Bereichen Betrug/Untreue i.Z.m. Kapitalanlagen (-80,2 %), Anlagen- und Finanzierungsdelikte (-78,8 %) sowie Wirtschaftskriminalität bei Betrug (-50,9 %) und Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen (-45,6 %) registriert. Zugenommen haben 2018 Wettbewerbsdelikte (+ 34,7 %) und Arbeitsdelikte (+6,7 %).
Gesamtschadenssumme sinkt, Schaden pro Fall steigt
2018 entstand durch Wirtschaftsdelikte ein Schaden in Höhe von 3.356 Mrd. Euro (2017: 3,738 Mrd. Euro), was einem Rückgang um 10,2 % entspricht. Dagegen ist der durchschnittlich erfasste Schaden pro Fall gestiegen. Unstrittig ist, dass gerade die nicht erfassbaren und quantifizierbaren immateriellen Schäden wesentliche Faktoren für die Bewertung des Schadenspotenzials sind, etwa
- Wettbewerbsverzerrungen durch Wettbewerbsvorsprünge des mit unlauteren Mitteln arbeitenden Wirtschaftsstraftäters
- die Gefahr, dass infolge finanzieller Abhängigkeiten und Verflechtungen bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auch jene Geschäftspartner betroffen sein können, die an den kriminellen Aktivitäten der Täter keinen Anteil hatten
- Reputationsverluste von einzelnen Unternehmen oder ganzen Wirtschaftsbranchen
- mögliche Vertrauensverluste in die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung.
Modus Operandi bei einzelnen Deliktsbereichen
In 6.473 Fällen wurde 2018 das Internet genutzt, um Wirtschaftsstraftaten zu begehen (12,8 % aller Fälle von Wikri, ein Anstieg gegenüber 2017 um 26,8 %).
Der Deliktsbereich des Anlagebetrugs unterliegt einem deutlichen Wandel. Die „klassische“ Begehungsweise (z.B. Anzeigeschaltung, Börsenbrief) tritt zunehmend in den Hintergrund. Dagegen nimmt die Verbreitung von betrügerischen Angeboten über das Internet und Soziale Medien zu, zumal sich Anleger zunehmend eigenständig im Internet über Anlagemöglichkeiten informieren.
Beim Betrug i.Z.m. Differenzkontrakten (Verträgen, die auf Kursentwicklung eines bestimmten Basiswerts spekulieren und außerbörslich angeboten werden) handelt es sich um eine relativ neue Ausprägung der Anlagedelikte, der nach Einschätzung von Europol ein europaweites Betrugsphänomen darstellt. Bei diesen Delikten ist von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen.
Täter bieten vermehrt Investitionen in virtuelle Währungen an. Nach Überweisung der Anlagegelder wird dem Anleger zunächst eine scheinbare Gewinnentwicklung auf dem Online-Account angezeigt, Kurze Zeit später bricht der Kontakt zur Webseite ab, was in aller Regel mit einem Totalverlust des angelegten Geldes einhergeht. Es gibt strukturelle Überschneidungen zwischen dem Betrug bei Investitionen in virtuelle Währungen und dem Anlagebetrug i.Z.m. Differenzgeschäften. Es gibt auch die Möglichkeit, in sonstige i.Z.m. virtuellen Währungen stehende Anlagenmodelle zu investieren, z.B. in Handelsroboter für virtuelle Währungen oder das Cloud Mining. Laut Coinschedule.com gab es schon 2017 weltweit mehr als 200 „Initial Coin Offerings“ mit einer Gesamtinvestitionssumme von knapp 3,9 Mrd. $.
Social Bots sind geeignet, das Kunden- und Kaufverhalten über das sogenannte „Influencer Marketing“ zu manipulieren. Social Bots sind Computerprogramme, die eine menschliche Identität vortäuschen und zu manipulativen Zwecken eingesetzt werden, indem sie wie Menschen im Internet kommunizieren. Der Einsatz Sozialer Medien in Form von „Postings“, „Likes“ und „Shares“ ist dabei essentiell. Beim „Influencer Marketing“ handelt es sich um gezielte Marketingmaßnahmen kommerzieller Agenturen, um Nutzer in ihren Kaufentscheidungen zu beeinflussen und für ein Produkt oder eine Marke einzunehmen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mehrfach vor Marktmanipulationen mittels gefälschter oder unrichtiger Mitteilungen und Veröffentlichungen gewarnt. Social Bots können geeignet sein, derartige Falschmeldungen zu verbreiten und Manipulationen Vorschub zu leisten.
Organisierte ausländische Tätergruppierungen nutzen das Recht auf Freizügigkeit in der EU aus, um auf betrügerische Weise Sozialleistungen vom deutschen Staat zu erlangen. Die Täter treten in unterschiedlichen Rollen auf, z.B. als Arbeitgeber, Vermieter, Dolmetscher oder Betreuer. Teilweise erfolgen Gewerbeanmeldungen, insbesondere in den Bereichen Gastronomie, Hausmeister- oder Reinigungsservice. Das Gewerbe wird jedoch in aller Regel nicht betrieben. Die Anmeldung verfolgt lediglich das Ziel, Arbeitsverträge für weitere Zuzügler ausstellen zu können. Mitunter halten sich die ausländischen Antragsteller und deren Kinder nur kurzfristig in Deutschland auf. Die Rückkehr wird gegenüber dem Jobcenter verschwiegen.
Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität erfordert Prävention
Mit konsequenter Strafverfolgung muss eine nachhaltige Sensibilisierung und Präventionsarbeit einhergehen. Im Sinne des Anlegerschutzes erfordert dies beispielsweise auch regulatorische Eingriffe, die i.Z.m. Differenzkontrakten und Binären Optionen bereits erfolgt sind. Die erhöhte Sensibilisierung kann einen verstärkten Kontrolldruck nach sich ziehen, der Wirtschaftskriminelle abschreckt.
Zwar ist die Zahl der in der PKS 2018 erfassten Verdachtsfälle im Bereich Wirtschaftskriminalität gegenüber dem Vorjahr um 31,8 % zurückgegangen – was vor allem auf ein 2017 mit 23.000 Anlagebetrugsdelikten registriertes Umfangverfahren zurückzuführen ist -, aber dieser Kriminalitätsbereich, der quantitativ 2018 nicht einmal ein Prozent der registrierten Gesamtkriminalität ausmacht, verursachte 46 % der für die Gesamtkriminalität errechneten Schadenssumme. Dabei umfasst das Bundeslagebild Witrtschaftskriminalität nur die im Rahmen einer tatsächlichen oder vorgetäuschten wirtschaftlichen Betätigung begangenen Delikte, nicht etwa die gesamte, die Wirtschaft und ihre Unternehmen belastende Kriminalität. Zu der gehört die Sprengung eines Geldautomaten ebenso wie der Einbruch in ein Logistiklager oder der Ladendiebstahl. Und das je nach Deliktsart unterschiedlich große Dunkelfeld nicht angezeigter und nicht ermittelter Straftaten wird ohnehin nicht erfasst. Der Schutz vor Wirtschaftskriminalität gehört nicht zur Kernkompetenz des Sicherheitsgewerbes. Aber zu der von einem Sicherheitsdienstleister für ein mittelständisches Unternehmen zusammen mit dem Management erarbeiteten Risikoanalyse und Sicherheitskonzeption gehört auch die Ursachenanalyse und die mögliche Prävention von der branchen- und unternehmensspezifischen Wirtschaftskriminalität. Im Vordergrund wird dabei die Sensibilisierung der Manager und aller Mitarbeiter für wirtschaftskriminelle Bedrohungen stehen, vor allem das Risikobewusstsein für betrügerische Angriffe, auch unter Nutzung der Social Media. Die digitale Welt spielt im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine immer bedeutendere Rolle. Das Internet schaft vielfältige neue Tatgelegenheiten. An diesem Risiko- und Sicherheitsbewusstsein fehlt es gerade in KMUs, die zum großen Teil weder für den Schutz vor Wirtschaftskriminalität noch für Compliance als Teil der Unternehmenskultur eine Stelle mit entsprechender Kompetenz und Verantwortlichkeit organisatorisch ausgewiesen haben. Das IM NRW hat im September 2019 ein „Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019“ veröffentlicht, das die Fachhochschule des Mittelstands aufgrund von Befragungen erstellt hat. Nach den Ergebnissen sind in keiner Branche KMU im Land nach eigener Einschätzung umfassend geschützt. Die Studie empfiehlt: 1. den präventiven Wirtschaftsschutz, den Informations- und Erklenntnistransfer zwischen den KMU und den Sicherrheitsbehörden, Kammern und Verb änden in NRW zu intensivieren; 2. das Angebot der „Initialberatung“ zum Aufbau ganzheitlicher Sicherheitskonzepte stärker auf die konkreten Sicherheitsbedürfnisse zu fokussieren und 3. zu prüfen, inwieweit der Ausbau von ganzheitlicher Unternehmenssicherheit bei KMU durch staatliche Maßnahmen gefördert werden kann.