Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im Juni 2018 das Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität (Wikri) für das Jahr 2017 veröffentlicht.
Es existiert keine Legaldefinition zur Beschreibung der Wikri. Kriminologisch lässt sich Wikri definieren als die das Vertrauen missbrauchende Begehung von Straftaten im Rahmen einer tatsächlichen oder vorgetäuschten wirtschaftlichen Betätigung, die unter Ausnutzung der Abläufe des Wirtschaftslebens zu einer Vermögensgefährdung oder einem Vermögensverlust großen Ausmaßes führt oder eine Vielzahl von Personen bzw. die Allgemeinheit schädigt. Die Polizei rechnet dazu alle Straftaten, für die – nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes – die Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist. Berücksichtigt werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), auf der das Bundeslagebild Wikri basiert, nur von der Polizei – also nicht von Finanzbehörden, vom Zoll oder unmittelbar von einer Staatsanwaltschaft – ermittelten Verdachtsfälle.
Im Jahr 2017 wurden in der PKS insgesamt 74.070 Fälle der Wikri registriert, 28,7 % mehr als 2016 (57.546 Fälle). Die Fallzahl lag deutlich über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (65.484 Fälle). Der Anteil der Wirtschaftskriminalität an allen polizeilich bekannt gewordenen Straftaten betrug 1,3 % (2016: 0,9 %), während die durch sie verursachten Schäden einen Anteil von 50,5 % an dem in der PKS ausgewiesenen Gesamtschaden in Höhe von 7.400 Millionen Euro hatten.
Beträchtlich angestiegen gegenüber dem Vorjahr sind Betrug/Untreue i.Z.m. Kapitalanlagen (+ 252,7 %), Anlage- und Finanzierungsdelikte (+ 229,9 %), Abrechnung im Gesundheitswesen (+ 126,7 %) sowie Wirtschaftskriminalität bei Betrug (+ 65,0 %). Leicht rückläufig waren Wettbewerbsdelikte (- 7,1 %), Insolvenzdelikte (- 5,7 %) und Arbeitsdelikte (+ 3,0 %).
Entwicklung einzelner Bereiche der Wirtschaftskriminalität 2017/2016
Deliktsbereich | Fallzahlen | Schaden in Millionen Euro |
---|---|---|
Wikri | 74.070 / 57.546 | 3.738 / 2.970 |
Wikri bei Betrug | 48.103 / 29.160 | 2.065 / 772 |
Insolvenzdelikte | 10.640 / 11.283 | 1.157 / 1.566 |
Anlage- und Finanzierungsdelikte | 28.255 / 8.566 | 1.558 / 466 |
Wettbewerbsdelikte | 1.614 / 1.579 | 8 / 7 |
Arbeitsdelikte | 7.467 / 7.699 | 45 / 47 |
Betrug/Untreue i.Z.m. Kapitalanlagen | 27.564 / 7.815 | 1.617 / 356 |
Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen | 5.588 / 2.465 | 120 / 29 |
Die Aufklärungsquote betrug 2017 94,6 %. Ursächlich für die hohe Quote ist, dass es sich überwiegend um „Anzeigedelikte“ handelt, bei denen die Täter den Geschädigten zumeist bekannt sind. Die Gesamtschadenssumme lag knapp über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (3.612 Millionen Euro). In nahezu allen Teilbereichen der Wikri sind die erfassten Schäden gegenüber 2016 erheblich angestiegen. Dabei verursachte die Wikri bei Betrugsdelikten mit 2.065 Millionen Euro die höchste Schadenssumme. Unstrittig ist, dass gerade die nicht erfassbaren und quantifizierbaren immateriellen Schäden wesentliche Faktoren für die Bewertung des Schadenspotenzials sind, etwa:
- Wettbewerbsverzerrungen durch Wettbewerbsvorsprünge des mit unlauteren Mitteln arbeitenden Wirtschaftsstraftäters
- die Gefahr, dass infolge finanzieller Abhängigkeiten und Verflechtungen bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auch jene Geschäftspartner betroffen sein können, die an den kriminellen Handlungen der Täter keinen Anteil hatten
- Reputationsverluste von einzelnen Unternehmen oder ganzen Wirtschaftsbranchen
- mögliche Vertrauensverluste in die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung.
In 5.105 Fällen wurde 2017 das Internet genutzt, um Wirtschaftsstraftaten zu begehen (6,9 % aller Fälle von Wikri). Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der Wirtschaftsdelikte unter Nutzung dieses Tatmittels somit um fast die Hälfte zurückgegangen und lag deutlich unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (7.153). Seit 2013 hat sich die Anzahl dieser Fälle kontinuierlich verringert.
Social Bots sind geeignet, das Kunden- und Kaufverhalten über das sogenannte „Influencer Marketing“ zu manipulieren. Social Bots sind Computerprogramme, die eine menschliche Identität vortäuschen und zu manipulativen Zwecken eingesetzt werden, indem sie wie Menschen im Internet kommunizieren.
Beim „Influencer Marketing“ handelt es sich um gezielte Marketingmaßnahmen kommerzieller Agenturen, um Nutzer in ihren Kaufentscheidungen zu beeinflussen und für ein Produkt oder eine Marke einzunehmen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mehrfach vor Marktmanipulationen mittels gefälschter oder unrichtiger Mitteilungen und Veröffentlichungen gewarnt. Social Bots könnten geeignet sein, derartige Falschmeldungen zu verbreiten und Manipulationen Vorschub zu leisten.
Detailbetrachtungen einzelner Phänomene der Wirtschaftskriminalität
Betrugsdelikte werden nicht per se der Wikri zugerechnet, sondern können bei massenhaft begangenen Betrugsstraftaten und bei festgestellten Tat- und Täterzusammenhängen hinzugezählt werden. Bei derartigen Konstellationen kann es sich auch um Fälle der Organisierten Kriminalität (OK) i.Z.m. dem Wirtschaftsleben handeln. 2017 wurden 63 OK-Verfahren i.Z.m. dem Wirtschaftsleben geführt. Gegenstand in über der Hälfte aller OK-Wirtschaftsverfahren waren Betrugsdelikte. Bei OK-Verfahren i.Z.m. dem Wirtschaftsleben ist regelmäßig ein hoher Schaden festzustellen.
Ein Beispiel für organisiert begangenen Betrug ist der sogenannte „CEO-Fraud“. Hierbei geben sich Täter u.a. als Geschäftsführer (CEO) eines Unternehmens aus und veranlassen einen Mitarbeiter des Unternehmens zum Transfer eines größeren Geldbetrags ins Ausland. Seit 2014 hat CEO-Fraud zum Nachteil deutscher Unternehmen kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Gleichwohl hat sich die Zahl der vollendeten CEO-Fraud-Fälle 2017 im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbiert und sank auf 23 Fälle. 2015 entfielen auf jeden vollendeten Fall des CEO-Frauds mehr als doppelt so viele Versuche. Seither hat sich die Diskrepanz zwischen vollendeten und versuchten CEO-Frauds stetig erhöht. 2017 standen einem „erfolgreich“ durchgeführten CEO-Fraud sogar zehn Versuche gegenüber. Dies könnte ein Indiz für die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen sein.
Die Fallzahl der 2017 registrierten Anlage- und Finanzierungsdelikte (28.255) ist mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre (12.427). Diese sprunghafte Entwicklung resultiert im Wesentlichen aus einem umfangreichen, 2017 abgeschlossenen, Ermittlungskomplex in Sachsen.
Bei den Betrugsdelikten i.Z.m. Kapitalanlagen zeigte sich eine ähnliche Entwicklung wie bei den Anlage- und Finanzierungsdelikten. Die Fallzahl (27.564) war zweieinhalb Mal so hoch wie der Fünfjahres-Durchschnitt (11.513 Fälle).
Das von Europol 2017 veröffentlichte „Serious and Organised Crime Threat Assessment“ (SOCTA) weist auf die grundsätzliche Bedeutung von Schneeballsystemen im Kontext kriminellen Handelns hin.
Dabei können illegale Profite in Milliardenhöhe erwirtschaftet werden. Bei Investments in virtuelle Währungen kann es sich um Schneeballsysteme oder sonstige Anlagebetrugsmodelle handeln. Zu unterscheiden sind dabei zum einen Investitionen in sogenannte „Initial Coin Offerings“ (ICOs) oder Investitionen in bereits bestehende alternative virtuelle Währungen (in Abgrenzung zum Bitcoin).
Zum anderen gibt es die Möglichkeit, in sonstige i.Z.m. virtuellen Währungen stehende Anlagemodelle zu investieren, z.B. in Handelsroboter für virtuelle Währungen oder das Cloud Mining. Laut Coinschedule.com gab es 2017 weltweit mehr als 200 ICOs mit einer Gesamtinvestitionssumme von knapp 3,9 Milliarden $. Es ist nicht nur mit einer stark steigenden Tendenz in diesem Marktsegment zu rechnen, sondern auch mit verstärkten betrügerischen Handlungen.
Der durch Insolvenzdelikte verursachte Schaden verringerte sich im Jahr 2017 um ein Viertel auf 1.157 Millionen Euro. Dennoch bleibt das Schadenspotenzial hoch. Da Insolvenzstraftaten oftmals mit weiteren Begleitdelikten einhergehen (z.B. Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB), dürfte der tatsächlich verursachte Schaden über der genannten Schadenssumme liegen.
Die Fallzahl beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen (5.588) erreichte den höchsten Wert der vergangenen fünf Jahre. Eine spezielle Ausprägung, vor allem vor dem Hintergrund einer OK-Relevanz, ist der Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russischsprachige bzw. mehrheitlich von Personen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion geführten Pflegediensten. Das Phänomen tritt insbesondere dort auf, wo sich durch Sprachgruppen geschlossene Systeme bilden.
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